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Up North (Teil 2)

Hier kommt der zweite Teil unseres Yukon-Abenteuers. Inzwischen hat uns beide der Berufsalltag wieder. Ich vermisse die Zeit in der Natur. Die Weite der Landschaft, das Ausschauhalten nach einem geeigneten Platz für unser Camp. Aber auch die kleinen Dinge bleiben in Erinnerung: Das Rascheln des sandhaltigen Wassers am Bootsrumpf, das sich wie aufsteigende Luftblasen anhört, die gleichmäßigen Paddelschläge und zahlreichen Strudel, die sich immer wieder an der Wasseroberfläche bilden.

Es geht weiter. Der Yukon wird immer breiter. Wir machen Halt an einer verfallenen Maschinenkonstruktion zum Goldwaschen – ein Relikt längst vergangener Zeit. Stilecht versucht es Ingmar mit Pfanne und Spaten gleich nebenan. Doch was nach dem verheißungsvollen Schwenken der Pfanne bleibt ist schwarzer Magnetit. Wir wollen es später weiter versuchen. Schließlich gilt jeder Fluss im Yukon-Gebiet als goldhaltig.

Im Little Salmon Village besuchen wir einen Indianerfriedhof. Eine tödliche Epidemie hatte das Dorf einst heimgesucht. Die Gräber bestehen aus kleinen Hütten, die inmitten eines traumhaften Birkenwaldes liegen und die Verstorbenen beherbergen.

Wir erreichen Carmacks. Die Stadt ist sowohl über den Fluss als auch den Highway erreichbar und eignet sich daher als eine der wenigen Ausstiegsmöglichkeiten für Kanutouren. Die vereinzelten Paddler, die wir unterwegs treffen, machen spätestens hier Schluss. Wir kaufen noch ein paar frische Lebensmittel. Dann geht es weiter. 400 Kilometer liegen noch vor uns.

Am darauffolgenden Tag passieren wir die Five-Finger-Rapids. Zwischen den Felsen, die aus der Flussmitte empor ragen, nimmt die Strömung zu. Stromschnellen entstehen. Viele der vom Goldrausch gepackten Pioniere verloren hier Ende des 19. Jahrhunderts auf ihrem Weg Richtung Norden Hab und Gut. Wir steuern auf die rechte Durchfahrt zu, der einzige für Kanus problemlos passierbare Bereich. Kurz vorher aktivieren wir die GoPro, die am Saugnapf kurz über der Wasseroberfläche das bevorstehende Manöver filmen soll. Bis auf ein paar Wasserspritzer kommen wir trocken hinter den Felsen an.

Wenige Kilometer später ändert sich das Landschaftsbild. Der Fluss wird merklich breiter, verzweigt sich in zahlreiche Mäander und gibt den Blick auf die weitläufige Landschaft frei. Ich nutze einen Zwischenstop am Ufer für eine paar Landschaftsaufnahmen und klettere auf einen Hügel. Vor mir hebt ein stolzer Weißkopfseeadler (inzwischen zählen wir nicht mehr) seine Schwingen und gleitet hinab über das Wasser, um sich auf der anderen Flussseite ein ungestörtes Plätzchen zu suchen. Ich klettere weiter. Der Blick ist schon jetzt grandios und belohnt für die bisherigen Anstrengungen.
Oben angekommen, folge ich einem Tierpfad und unterhalte mich freundlich mit den potentiellen Bären, um mein Kommen rechtzeitig anzukündigen. Schließlich zählt das Erschrecken von Tieren zu den Situationen, in denen auch dem Menschen Gefahr droht.

Nachmittags machen wir in einer Flussbiegung Halt und versuchen es erneut mit dem Angeln. Ich erkunde das Ufer und unterbreche Ingmar kurz darauf. Wir entdecken frische Elch und Bärenspuren. Letztere umfassen etwa die Größe einer DIN A5 Seite. Wenige Meter später warnt uns ein Zettel, der mit einem Stein beschwert und mit Bleistift beschrieben wurde, vor dem Grizzly. Mit Bärenspray bewaffnet trauen wir uns noch ein paar Meter weiter und machen kurz darauf kehrt. Später sehen wir am Ufer einen amerikanischen Schwarzbär, der kurz darauf das Weite sucht. Wir legen an, um seine Spuren mit denen des Grizzlies vergleichen zu können. Die Unterschiede sind groß. Wir sind froh, nicht weiter auf den Grizzly gewartet zu haben.

Abends finden wir ein Camp mit Blick über den Fluss. Neben ein paar verfallenen Hütten aus der Goldrausch-Ära gibt es auch einen aus Holzlatten gezimmerten Tisch. Wir breiten unsere Lebensmittel für den Stockbrotteig aus. Luxus pur!

Ingmar versucht es noch einmal mit der Angel. Wenige Meter flussaufwärts strömt ein kleiner Creek in den Yukon. Elke von Up North hat uns den Tipp gegeben, es dort zu versuchen. Die Fische legen in der Nähe kleiner Bäche aufgrund der Nährsalze einen Zwischenstop auf ihrer Reise Richtung Süden ein. Doch auch diesmal bleibt der Erfolg aus.
Schnell zündelt das Feuer. Der Teig ist aufgegangen. Es kann los gehen. Wir legen noch zwei dicke Folienkartoffeln dazu. Eine fantastische Mahlzeit!

Nach zehn Tagen erreichen wir den Teil des Flusses mit den meisten Inseln. Über 100 Stück erstrecken sich über die nächsten sechs Kilometer. Wir wollen nicht dem Hauptstrom folgen und entscheiden uns für einen Weg zwischen den Inseln hindurch. Keine gute Idee. Der Wasserpegel ist nach den Sommermonaten extrem niedrig. Schon bald sitzen wir auf einer kleinen Sandbank fest und müssen das Boot zurück in die Hauptströmung ziehen. Wir entscheiden uns für die Mittagspause und Chili con Carne – mit viel Chili und wenig Carne. Gestärkt geht es weiter.

An der kargen, felsigen Landschaft und der kräftigen Herbstfärbung fällt uns auf, dass wir inzwischen etliche Kilometer Richtung Norden gepaddelt sind. Alaska rückt näher. Die zahlreichen Pflechten und Zwergsträucher sind typisch für die Tundra. Hier gefällt es mir besonders gut. Das ist meine Landschaft.

Müde und relativ spät erreichen wir Fort Selkirk, einem damals für einheimische Indianer und Missionare bedeutsamen Handelsposten. Die Häuser sind liebevoll restauriert, stehen meistens offen und vermitteln eindrucksvoll die damaligen Lebensumstände.
Uns fallen der große Zeltplatz und mehrere Blockhütten auf, die offenbar in den wärmeren Sommermonaten Platz für zahlreiche Paddler bieten. Wir treffen keinen einzigen und sind froh darüber.

In den nächsten Tagen kommen wir gut voran. Inzwischen können wir das Tempo und damit das pünktliche Ankommen in Dawson City einschätzen. So bleibt uns Zeit für eine ausgedehnte Angelpause. Ich mache es mir im Boot bequem. Genieße die warmen Sonnenstrahlen und mache die Augen zu. Ingmar zieht mit Angel und Haken los. Er versucht es an einem strömungsärmeren Seitenarm.
Als ich meine Namen höre, ist mir gleich klar, dass es diesmal geklappt hat. Stolz und mit einem breiten Grinsen kommt er auf mich zu. In seiner rechten Hand den Fisch, in der linken die Angel. Ein toller Anblick. Wir sind begeistert. Die Freude lässt sich hier nur schwer in Worte fassen.
Ingmar nimmt den Fisch aus. Wir lassen die Innereien an Ort und Stelle, damit wir später für die Bären nicht unnötig viel nach Fisch riechen.

Wir tippen auf einen Arctic Grayling. Bei unserer späteren Recherche stellen wir fest, dass es sich um einen Arctic White Fish handelt, der am Abend trotz Verwechslung grandios schmeckt. Gewürzt mit Pfeffer und Salz, eingewickelt in Alufolie und kurz in der Glut angebraten. Wir sind uns einig, noch nie so leckeren Fisch gegessen zu haben.

Das Ziel unserer Reise rückt näher. Wir haben sogar noch Zeit für einen Tag ganz ohne Paddel. Es wird endlich ausgeschlafen, gelesen und mit den restlichen Lebensmitteln lecker gekocht. Noch 40 Kilometer trennen uns von Dawson City. Das schaffen wir am nächsten Tag.
In unserer letzten Nacht in der Wildnis meint es die Natur noch mal gut mit uns. Der Himmel ist sternenklar. Wir bestaunen das fantastische Spiel des Polarlichtes, bauen die Kameras auf und kriechen nach einer guten halben Stunde fröstelnd wieder in unsere Schlafsäcke.

Am nächsten Morgen starten wir nach einem warmen Feuer und einer heißen Tasse Tee bei dichtem Nebel zu unserer letzten Etappe. Wir lassen uns ein Stück treiben und kommen bei tollstem Sonnenschein und warmen 15 Grad am Anleger in Dawson City an.
Im Downtown Hotel gibt es ein Zimmer für uns. Ich dusche als erstes. Das tut gut und lohnt sich.
Wir packen unsere Kameras und drehen eine Runde durch das Städtchen. Vom einstigen Glanz ist hier nur noch wenig zu spüren. Viele der Läden, sogar die Touristen Information sind geschlossen. „Closed for the season. See you in 2013“, lesen wir häufig.
Wir gehen ins Casino, das heute seine letzte Vorstellung hat und erhalten einen Eindruck, welch lebendiges, buntes Treiben hier zur Zeit des Goldrausches geherrscht haben muss.

Unsere Reise ist zu Ende. Es ist Zeit Abschied zu nehmen. Wir steigen voller Zufriedenheit und mit zwei Rucksäcken voller Eindrücke und Erfahrungen in den Flieger. Es war eine nachhaltige Tour – in einem schönen Land, zu einer wunderbaren Jahreszeit, mit einem tollen Bruder. Cheers!

Weitere Fotos unserer Reise gibt es bei Flickr.

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