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Off Season – Logbuch

7000 Kilometer, drei Länder, eine Familie. Stille Wälder, einsame Weite und lausige Kälte. Dazwischen unzählige Kilometer mit unserem frisch restaurierten 85er VW T3 – hoffentlich treuer Begleiter und Kinderzimmer zugleich. In wenigen Tagen brechen Ania und ich zu unser bisher größten Reise auf. Knapp zwei Monate werden wir mit unserem Sohn Janos im Herbst durch Skandinavien unterwegs sein.

Nördlich des Polarkreises geht es zur Zeit der Ruska in die Wälder Lapplands (Urho-Kekkonen und Lemmenjoki Nationalpark). Anschließend fahren wir weiter auf die Lofoten in Norwegen. Die Strecke dazwischen werden wir in mehreren Tagesetappen zurücklegen – je nach Witterung weiterfahren, kürzen oder verlängern. Anschließend führt uns die Route über die norwegischen Fjorde wieder Richtung Süden. Das Rogen Naturreservat in Schweden besuchen wir zum Ende unserer Reise. Bereits 2013 waren wir mit Zelt und Rucksack dort wandern.

Bei aller Vorfreude und wilder Polarlicht-Romantik liegen auch Wochen der Ungewissheit vor uns. Wir werden das Reisen als Familie neu erlernen müssen, die Komfortzone verlassen und den Wetterkapriolen hoch oben im Norden trotzen.

Auf dieser Seite berichten wir in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen von unserer Tour. Fotos wird es von unterwegs nur wenige geben, denn ich werde fast ausschließlich analog fotografieren.

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Vorbereitungen, 0 kmsonnig, 24°C, voller Vorfreude

01-EssenEssen (.DE)
N 52°26’08“
E 007°02’35“

21.08.2016 – Die ursprünglich langen Checklisten für Bus-Technik, Babykram und Reiseroute weisen nur noch wenige Punkte auf. Der Anhänger hat neue Reifen. Am 78PS Wasserboxer wurden Zündkerzen, Zahnriemen, Bremskraftverstärker und Benzinschläuche getauscht. Wir haben die Ladeelektronik unserer Zweitbatterie vollständig erneuert und modernisiert, damit uns abseits der Campingplätze nicht der Saft für Licht und Heizung ausgeht. Raphael von Camperworks rüstete im Charme der Westfalia Ausstattung das Dachbett nach. Reservekanister, Werkzeug und Ersatzteile liegen bereit. Hängematte und Tarp sollen bei miesem Wetter den Aktionsradius erweitern. Check.

Janos quietscht vergnügt auf dem Balkon – wohl kaum aus Vorfreude. Ihn faszinieren die langen Grashalme, die so schön im Gesicht kitzeln. Währenddessen machen wir uns Gedanken über seinen Windelkonsum (Bedarf und Größe für die kommenden Wochen). Janos gehört zu den jüngsten ADAC-Mitgliedern und reist mit eigenem Reisepass. Eltern- und Kindergeld sind beantragt. Check.

Insgesamt 60 Rollfilme und eine Mamiya 7ii liegen für das analoge Abenteuer bereit – 40x Fujifilm Pro 400H, 20x TRI-X 400 für SW-Fotos. Ania wird mit dem iPhone und zwei Aufsteckobjektiven von Moment fotografieren und filmen. Die digitale Leica kommt als Backup mit. Check.

Erste Optionen für kleinere Wanderungen und schöne Orte in Lappland, auf den Lofoten und südlich von Trondheim stehen fest. Gedrucktes Kartenmaterial werden wir uns nach Bedarf vor Ort besorgen. Die Karten für das Garmin sind aktuell. Check.

Der wohl wichtigste Teil unserer Vorbereitung waren kleinere Touren während der vergangenen Wochen, um Bus, Equipment und das Reisen mit Kind kennenzulernen. Gut 3000 Kilometer ohne Pannen sind eine gute Bilanz und stimmen uns zuversichtlich. Check.

In fünf Tagen kann es losgehen. #Vorfreude

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Der Anlasser streikt, 754 kmbewölkt, 14°C, wieder zuversichtlich

03-VärmlandÅrjäng (.SE)
N 59°16.433′
E 012°22.789′ 

28.08.2016 – Wir hätten nicht gedacht, dass uns das Abenteuer gleich am zweiten Reisetag herausfordern würde. Doch der Reihe nach: Am ersten Tag fahren wir entspannt von Essen nach Kiel und von dort weiter mit der Stena Line nach Göteborg. Am Morgen geht es entlang der Westküste bei kräftigem Seitenwind Richtung Norden. Wir machen Rast an einem traumhaften See. Die Überreste eines Klappstuhls in schrillem Stoffdesign erinnern an die Flower-Power-Ära.

Beim Starten des Busses streikt dann der Anlasser. Das Klicken des Magnetschalters, sonst nichts. Nach ein paar Versuchen springt er an. Es bleibt ein ungutes Gefühl. Das Navi zeigt noch 32 Kilometer bis zum Ferienhaus meiner Eltern, die wir auf der Durchreise besuchen.

Wir verlassen die asphaltierte Straße und kurven vorbei an herrschaftlichen Landhäusern. Die Straße wird schmaler, die Schlaglöcher tiefer. Wir wundern uns nicht sonderlich, denn der inzwischen schmale, teils steile Weg passt gut zu den bisherigen Feriendomizilen meiner Eltern. Doch als der Weg plötzlich auf einer Wiese endet und eine verwunderte Schwedin uns mit „What are you doing?“ begrüßt, wird auch uns klar: Wir sind wohl nicht richtig. Die Ursache ist schnell gefunden: Die Adresse existiert zweimal – glücklicherweise in einem Abstand von 15 Kilometern. Und wieder springt der Bus nicht an. Doch auch diesmal klappt es nach ein paar Versuchen. Wir hängen den Anhänger ab, fahren uns beim Wenden im Hang fast fest und sind schließlich wieder auf Kurs. Unsere Ankunft wird mit einem grandiosen Seeblick und einem tollen Abend mit lieben Menschen belohnt.

Am Folgetag kümmern wir uns um das Anlasser-Problem. Wir haben das Massekabel im Verdacht und reinigen die Kontaktflächen an Getriebe und Karosserie mit Schmirgelpapier. Der Bus springt sofort an. Die Zuversicht ist zurück. Finnland kann kommen.

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Entlang der Ostküste, 1555 kmbewölkt, 15°C, erkältet

04-HögerKustenNorrfällsviken, Höger Kusten (.SE)
N 62°58.469′
E 018°31.597′ 

04.09.2016 – Nach einer kurzen Kanutour verlassen wir die Provinz Värmland und verbringen unsere erste Nacht im Bus am See. Der Himmel ist sternenklar. Es wird kalt. Die Gasheizung läuft. Das Aufstelldach bleibt unten, um keine Wärme zu verlieren. Wir kuscheln uns mit Janos unter unsere Schlafsäcke, die wir zunächst nur als Decke nutzen.

Am nächsten Morgen geht es nach einem sonnigen Frühstück weiter durch Dalarna. Wir nehmen nicht den schnellsten Weg an die Ostküste, sondern entscheiden uns für die landschaftlich schönere und einsamere Route über Mora, Ljusdal nach Hudiksvall. Inzwischen haben wir ein gutes Gefühl für die zurückzulegenden Distanzen und bekommen Respekt vor der Strecke, die noch vor uns liegt. Die Straßenverhältnisse abseits der Europastraßen sind streckenweise schlecht und drosseln die Durchschnittsgeschwindigkeit erheblich.

Janos ist ein toller Mitfahrer. Schnell haben wir uns daran gewöhnt, dass er die Pausen bestimmt. Kleinere Spaziergänge an frischer Luft, Windelwechseln, Füttern und ein wenig Rumalbern sind unser Pausenprogramm.

Am Abend verlassen wir die E4 und finden ein Logenplätzchen für die Nacht direkt am Hafen in Mellanfjärden mit Blick auf die Ostsee. Der Küstenort wirkt verlassen. Die Fiskbutik öffnet erst wieder im Frühjahr. Die Stellplatzgebühr wird im Briefumschlag hinterlegt. Wir tanken ordentlich Sonne und fahren den Kustvägen entlang Richtung Norden. Bei Ania und Janos deutet sich eine Erkältung an. Nach wenigen Kilometern folgen wir den spärlichen Schildern zum Naturreservat südlich von Norrfjärden und finden einen idyllischen Schlafplatz erneut direkt am Wasser. Ich ziehe mit der Kamera los und folge der Wegmarkierung durch lockeren Nadelwald über kleinere Geröllfelder und moosbedeckte Abschnitte. Blaubeeren wohin das Auge reicht.

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Ania und Janos geht es am nächsten Morgen nicht besser. Wir besuchen kurz die traditionsreiche Axtschmiede in Gränsfors und werden beim Aussteigen von den rhythmischen Schlägen des Schmiedehammers begrüßt. 30 Mitarbeiter fertigen hier die weltweit bekannten Äxte auf höchstem Niveau. „Bei der Qualität und der Griffigkeit der Äxte kommt es in hohem Maße auf die Erfahrung und Fähigkeit des einzelnen Handwerkers an“, lesen wir auf der Website. Die Initialen des Schmiedes auf jeder Axt sind das Qualitätssiegel.

Uns beschäftigt weiterhin die Erkältung von Ania und Janos. Wir fahren auf der E4 weiter nordwärts und erreichen das UNESCO Weltnaturerbe Höger Kusten am Nachmittag. Auf einem Campingplatz in Norrfällsviken quartieren wir uns in einer kleinen Holzhütte ein, um die Erkältung auskurieren zu können. Auch bei mir fängt es inzwischen an. Wir machen uns ernsthaft Gedanken über den weiteren Routenverlauf. Vor uns liegen gute 1100 Kilometer bis nach Finnland. Wir liegen gut in der Zeit, um pünktlich zur Ruska im Norden anzukommen. Doch die finnischen Nationalparks sind nur sinnvoll, wenn wir bis dahin wieder fit sind. Nach zwei Nächten im Warmen geht es Janos wieder gut. Auch bei uns wird es besser. Es kann weiter gehen – Richtung Norden natürlich.

Glück bei der Stellplatzsuche, 2127 kmsonnig, 14°C, Optimismus pur

05-BatskärsnäsBåtskärnäs (.SE)
N 65°45.418′
E 023°24.083′ 

05.09.2016 – Die zuletzt zwischen den Zeilen geäußerte Skepsis über die bevorstehende Strecke ist nun kurz vor der finnischen Grenze kindlicher Abenteuerlust und uneingeschränkter Neugierde auf die rustikale Wirklichkeit Lapplands gewichen. Der Optimismus steht uns ins Gesicht geschrieben und der Bus gibt sich alle Mühe daran nichts zu ändern. Er läuft und läuft und läuft. Ein Traum.

Während der Fahrt auf der E4 erhaschen wir immer wieder Blicke auf die endlos wirkenden Wälder. Der Verkehr nimmt zwischen den Städten Umeå und Luleå spürbar ab. Streckenweise haben wir die Straße ganz für uns.

Der Herbst hat hier im Norden das Regiment übernommen und färbt die Blätter in erstem zarten Gelb. Drückt uns die Daumen, dass das klare, sonnige Wetter auch in den nächsten Tagen für unser Vorhaben in Lappland anhält.

Während einer kurzen Pause stellen wir erneut fest, dass die offenkundige Camping-Kultur der Schweden so gar nicht zu unserem Verlangen nach Wildnis und Einsamkeit passt. Während wir Rast- und Parkplätze nur ansteuern, wenn es sein muss, packen dort einige Schweden im Kollektiv Campingstühle und Tische aus, legen die Beine hoch und genießen die Sonne neben vorbeirauschenden Sattelschleppern – obwohl bereits an der nächsten Abfahrt die Natur wartet. Überhaupt erkennt man schwedische Gäste in diesen Tagen auf den Camping- und Stellplätzen an kurzer Hose und T-Shirt – am späten Nachmittag auch gerne Oberkörper frei. Wir tragen stattdessen lieber Mützen und drei Lagen im Zwiebelprinzip.

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Apropos Campingplätze: Anfangs haben wir uns an Plätzen orientiert, die Teil des Camping-Key-Verbundes sind und in der dazugehörigen App gelistet und empfohlen werden. Wir meiden diese Plätze inzwischen und halten lieber Ausschau nach Hinweisschildern auf Stell- und Zeltplätze in Verbindung mit einem Blick auf die Karte nach landschaftlich interessanten Gebieten. So finden wir Plätze, die privat geführt, deutlich kleiner, preiswerter und meist besonders idyllisch sind. Wir nehmen gerne einige Kilometer abseits der Europastraßen auf uns, um mit einem Blick auf die Ostsee belohnt zu werden.

Gestern zum Beispiel beendeten wir die Weiterfahrt bei Sikeå auf einem kleinen Campingplatz direkt an einer Ostseebucht. Am Horizont das Meer, über uns kreisende, laut rufende Wildgänse, das Wasser spiegelglatt. Ruhe. Da verschlägt es einem nach langer anstrengender Fahrt die Sprache. Danke, liebe Camping-App, dass solche Plätze nicht gelistet werden, sonst sähe es hier wohl anders aus.

Um diese Jahreszeit sind auch die großen Plätze fast leergefegt. Dort, wo sich zur Hauptsaison bis zu 2000 Gäste am Strand tummeln, treffen in diesen Tagen nur etwa zehn Reisende ein, berichtet uns die Schwedin an der Rezeption. Off-Season sagt man hier dazu. Wir profitieren davon und haben freie Stellplatzwahl.

Jetzt trennt uns nur noch eine Tagesetappe von Lappland und damit von unserem ersten großen Zwischziel der Reise. Bald mehr!

Verliebt in Lapplands Weite, 2601 kmsonnig, 9°C, vom Polarlicht verzaubert

05-lappland01Saariselkä (.FI)
N 68°21.989′
E 027°11.808′ 

08.09.2016 – Wir haben Lappland erreicht und die erste finnische Nacht auf einem kleinen Stellplatz direkt am See verbracht. Für 19 Euro sind Sauna, Angel-Ausrüstung und ein Ruderboot inklusive. Am Morgen stapfen wir durch feuchtes Moos und erkunden das angrenzende Waldstück. Es ist ein lockerer Mischwald, der zum Querfeldeinlaufen einlädt. Die Ruska-Zeit ist hier bereits in vollem Gange. Die Farbpalette gibt so ziemlich alles her – von kräftigem Grün, sattem Gelb, erstem Rot bis hin zu tiefem Violett. Die Rentierlosung am Boden kündigt eine Schutzhütte der Sami an. Tiere sehen wir nicht und genießen stattdessen den Blick auf spiegelglattes Seewasser.

Es geht weiter Richtung Norden. Bereits etwas müde und enttäuscht kurven wir bei fiesem Nieselregel über die Straßen Lapplands. So langsam beschleicht uns das Gefühl, dass die intensivste Zeit der Herbstfärbung weiter nördlich vorbei sein könnte. Viele Birken sind hier bereits kahl.

Wir überqueren den Polarkreis und kommen am Abend im Fjällcenter in Kiilopää an. Der Ort ist oft Startpunkt für mehrtägige Wanderrouten durch den Urho Kekkonen Nationalpark. Mit einer Fläche von 2.550 km² ist er der Zweitgrößte in Finnland. Auf dem vollen Parkplatz sehen wir nur finnische Kennzeichen. Die ältere Dame am Tresen verrät uns: „Wir haben hier ‚High-Season‘. Es gibt keine Stellplätze mehr.“ Auch die Nachfrage nach Stellplatz-Alternativen in der Gegend wird mit einem Lächeln verneint. Irgendwie passen ihre schlecht lackierten Fingernägel, der touristische Andrang und der angrenzende Souvenier-Shop nicht zum bevorstehenden Outdoor-Feeling. Das kennen wir von der Fjällstation in Grövelsjön anders.

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Wir stellen uns gedanklich auf einen weiteren Regentag ein und suchen uns einen Schlafplatz abseits der Hauptstraße. Der nächste Tag ist wieder so ein Beispiel für eine Kehrtwende auf Reisen, die alle Erwartungen übertrifft – in positiver Hinsicht.

Statt Nieselregen und klammen Klamotten im Bus werden wir von Sonnenstrahlen geweckt. Wir packen den Rucksack und Janos warm ein und wandern kurze Zeit später über wegloses Fjäll. Der Höhepunkt der Ruska liegt hier tatsächlich schon einige Tage zurück. Die knochigen, kleinwüchsigen Birken sind fast alle blätterlos. Nur die Blaubeerblätter erstrahlen in intensivem Rot. Unsere Begeisterung lässt sich dadurch nicht stoppen. Wir atmen die Weite und Stille tief ein. Die Wälder erstrecken sich bis zum Horizont. Oh Lappland, wie schön unspektakulär du bist!

Janos verschläft den Großteil der Wanderung. Während der Pausen entdeckt er mit großer Neugierde die bunt gefärbten Blätter. Das Spielzeug wächst an Bäumen und auf dem Boden. Geniale Gegend.

Später finden wir einen einsamen Schlafplatz nahe der Hammastunturi Wilderness Area, die sich auf einem Gebiet von 1825 km² zwischen dem Urho Kekkonen und dem Lemmenjoki Nationalpark erstreckt. Letzterer wird das nächste Ziel unserer Reise sein. Wir wärmen uns bei sternenklarem Himmel an einem kleinen Lagerfeuer und freuen uns über Folienkartoffeln mit Butter und Salz. Kurz darauf entdeckt Ania die ersten Polarlichter. Wir können unser Glück kaum fassen. Was für ein Tag in Lappland.

Ruska in Reinstform, 2780 kmbewölkt, 9°C, glücklich

06-lemmenjokiLemmenjoki (.FI)
N 68°43.773’
E 026°21.357’ 

12.09.2016 – Nach einem Pausentag in der Hängematte schnüren wir die Wanderstiefel für eine letzte Abendwanderung im Urho Kekkonen Nationalpark. Startpunkt ist Saariselkä, ein hässliches Touristennest, dessen Tor zur Natur am Ende der Stadt auf uns die einzige Anziehung ausübt. Wir wandern auf einem schmalen Waldpfad Richtung Fjäll und vergessen schlagartig die Imbissbuden und Souvenirshops.

Als wir die Baumgrenze erreichen streichelt die bis dahin hinter Wolken versteckte Abendsonne über das sich vor uns ausbreitende Fjäll. Bei grandiosem Licht blicken wir über die unendlichen Wälder des Norrlandes. Auch drei Rentiere lassen sich das Schauspiel nicht entgehen, huschen an uns vorbei, halten kurz inne und machen den Moment für uns perfekt.

Am nächsten Tag erreichen wir Inari, den nördlichsten Punkt unserer Reise. Wir informieren uns im Sámi-Museum und Naturzentrum „Siida“ über die Geschichte und Kultur der ursprünglichen Bewohner Lapplands und erfahren dort zum Beispiel, dass die Sámi (übersetzt „Sumpfleute“) mit ihren Rentieren alle zwei bis vier Wochen weiterzogen – je nach Ergiebigkeit des Weidelandes. Wir erkennen gewisse Parallelen zu unserer Reise und fühlen uns für einen kurzen Moment als Nomaden im 21. Jahrhundert.

Die Straße zu Finnlands größtem Nationalpark, dem Lemmenjoki, führt uns durch eine wider Erwarten bunt gefärbte Landschaft. Der Herbst bringt die Gräser der Moore und Sümpfe zum Leuchten. Auch die Birken tragen hier größtenteils noch ihr Herbstkleid. Ruska in Reinstform. Wir sind begeistert. Im Gegensatz zur weiter südlich dafür etwas höher gelegenen Fjällregion des Urho-Kekkonen Nationalparks ist das Farbschauspiel hier noch nicht so weit fortgeschritten. Neben der geografischen Lage spielt auch die Vegetation bei der Farbenpracht eine entscheidende Rolle. So erleben wir die Moore, Wälder und das Joenkielinen Fjäll im Lemmenjoki am Folgetag in einer für uns neuen Dimension.

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Wir starten nach einem stärkenden, ausgiebigen Seefrühstück am Parkplatz in Njurkulahti. Der gut markierte Weg führt uns durch lockeren Kiefernwald vorbei an farbintensiven Sümpfen. Der Boden schmatzt unter unseren Füßen und ist Nährstofflieferant für die üppigen Blaubeersträucher, die uns auch zu dieser späten Jahreszeit noch mit leckeren Früchten versorgen. Die uns umgebende (Wind-)Stille scheint in der Lage, jedes Geräusch dieser Welt zu schlucken.

Ein Blick auf das Garmin, das uns mit Infos zu Durchschnittsgeschwindigkeit, Zeit bis zum Sonnenuntergang und bevorstehendem Streckenprofil versorgt, verrät uns, dass wir spät dran sind. Wir müssen uns beeilen, um vor Anbruch der Dämmerung wieder im wohlig warmen Bus zu sitzen. Noch liegt der 300 Meter hohe Anstieg auf das Joenkielinen Fjäll vor uns. Janos schläft kooperativ auf Anias Rücken und wird von dieser Tour wohl erst in einigen Jahren hier auf dem Blog lesen.

Der Wald lichtet sich. Die Kiefern und Zwergbirken sind hier deutlich niedriger. Es sind Bäume an der Grenze ihres Lebensraumes, die sich an die Kälte, die winterliche Trockenheit und den Mangel an Nährstoffen angepasst haben. So kriechen beispielsweise die Stämme der Birken mehrere Meter am Boden entlang, um im Schutze der Schneedecke überwintern zu können.

Beim Aufstieg schlängelt sich der Weg über den sanften Westhügel des Fjälls durch ein buntes Mosaik aus Blaubeersträuchern und Alpen-Bärentrauben. Der Blick auf die Weite ist zugleich Belohnung und Ansporn für die vor uns liegende Strecke.

Die 16 Kilos und Janos auf unseren Rücken zehren an unseren Kräften. Hier oben wird uns erneut bewusst, welche Verantwortung wir für unseren Zwerg haben und sind glücklich, dass Janos von all der Anstrengung warm eingepackt in tiefem Schlaf versunken auf Anias Rücken nichts erfährt.

Die Abendstimmung am Gipfel ist nicht nur aus fotografischer Hinsicht ein Traum. Die silber-blauen Wolkenformationen kündigen den in einigen Stunden einsetzenden Regen bereits an und ergänzen die enorme Weite zu einer fotogenen Kulisse. Zwischen Elchlosung und von Flechten bedecktem Gestein halten wir nur kurz inne und nehmen den Abstieg in Angriff. Es geht über deutlich felsigeres Gelände steiler bergab. Wir schnallen Janos nach vorn auf die sichere Bauchposition und setzen vorsichtig Fuß vor Fuß. Ania meistert das Gelände ganz hervorragend. Ich bin stolz und ein wenig erleichtert zugleich.

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Noch sechs Kilometer liegen vor uns. Als wir den Wald wieder erreichen wird mir bewusst, dass diese Tour wohl zu den schönsten meines Lebens zählt. Ich kann das Glück kaum fassen, all das mit meiner eigenen Familie teilen zu können.

Erschöpft und glücklich beseelt erreichen wir eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder unsere fahrbare Wanderdüne, tauschen die nassgeschwitzten Klamotten gegen trockene und belohnen uns mit einem Stellplatz samt Dusche und Strom. Die Bettschwere gewinnt schnell während der nächtliche Regen draußen auf dem Fenster beruhigend trommelt.

Inselwetter auf den Lofoten, 3912 kmbewölkt, 10°C, entspannt

07-lofotenNusfjord (.NO)
N 68°02.091’
E 013°20.830’ 

20.09.2016 – Während Ania und Janos noch schlafen, sitze ich mit Blick auf Nusfjord vor unserem Bus und schreibe diese Zeilen für euch auf – begleitet vom morgendlichen Geschrei der Möven. Das alte Fischerdorf auf den Lofoten liegt in einer kleinen Bucht, umgeben von schroffen Felsen. Die lauten Möven scheinen zu dieser Zeit die einzigen Bewohner zu sein und verleihen dem Ort eine paradoxe Stille. Meine Gedanken schweifen ab. Ich denke an die Tage in Schweden zurück.

Die 78 PS des Wasserboxers tuckern zufrieden als wir im dritten Gang auf der E10 zwischen Kiruna und Abisko eine Anhöhe erklimmen. In der Ferne erblicken wir die Berge, die sich am nördlichen Ufer des Torneträsk Sees in den Himmel strecken. Es ziehen düstere, stahlblaue Regenwolken auf. Die letzten Sonnenstrahlen durchbrechen die aufziehende Wolkenschicht und erleuchten die Fjällbirkenwälder in komplementärem Gelb. Wir nutzen die Traumkulisse für Fotos von unserem Gespann und fahren der dunkeln Wolkenfront entgegen. Als wir Abisko am Abend erreichen, hört es auf zu regnen. Es klart auf. Die Nächte hier oben werden kälter. Der Himmel ist inzwischen sternenklar. Wir stellen uns auf die bisher kälteste Nacht ein. Die Gasheizung läuft die Nacht durch und hält die Kälte erfolgreich davon ab, sich heimlich ihren Weg durch die Blechritzen unseres Busses zu suchen.

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Am nächsten Morgen geht es zu Fuß auf dem Kungsleden weiter. Der Weg ist ausgetreten und verläuft parallel zum Fluss wenig abwechslungsreich durch lichten Birkenwald. Echte Begeisterung mag hier nicht aufkommen – vermutlich aufgrund der spektakulären Ruska-Eindrücke der vergangenen Tage. Das höher gelegene baumlose Fjäll liegt mehr als eine Tagesetappe entfernt und damit für uns außer Reichweite.

Zurück in der wunderbar skandinavisch eingerichteten Touriststation in Abisko versöhnen uns ein kaltes Norrlands-Gul und ein Traumblick auf den Torneträsk mit der Region. Die Touriststation ist Anlaufstelle für fast alle Wanderer, die auf dem nördlichen Kungsleden unterwegs sind. Viele beginnen oder beenden ihre Tour hier. Eine Bibliothek und ein Kaminzimmer laden den Wanderer zum Verweilen ein. Wir sind begeistert von der Willkommenskultur und den gleichermaßen freundlichen und kompetenten Infos, die Wanderer hier bekommen – kein Vergleich zum finnischen Hüttenkonzept in Kiilopää.

Es geht über den Pass nach Norwegen. Wir erreichen am Abend die Lofoten. Für einen Traumplatz mit Blick über das Meer auf das norwegische Festland und die teils schroffen Berge legen wir die „No Camping“ Hinweise in unserem Sinne etwas großzügiger aus. Zunächst färbt die untergehende Abendsonne die glasklare, kalte Luft in Blau- und Violetttönen, wie wir sie in der Natur noch nicht erlebt haben. Anschließend setzt der über den Bergkämmen aufziehende Vollmond das Schauspiel fort. Am Morgen der zweite Akt in umgekehrter Reihenfolge.

Doch für die Lofoten werden in den nächsten Tagen Regen und dichte Wolken vorhergesagt. An Wanderungen über das teils sehr steile Gelände ist daher nicht zu denken. Die über den Bergen tief hängenden Wolken geben den Blick auf selbige nur selten frei. Der Nieselregen setzt ein und macht die nass-kalte Inselstimmung perfekt.

Wir verlassen die E10 und fahren nach Henningsvær, ein Inseldorf, das uns neben seinem Fischer-Flair mit gemütlichen Bars und einem warmen Café lockt.

Der Stellplatz zwischen riesigen Wohnmobilen direkt am Hafen ist der wohl krasseste Kontrast zu den bisherigen Fleckchen Natur, die wir auf unserer Reise für die Nacht aufgesucht haben. Hier leben die Norweger ihren Traum vom mobilen Zuhause und zeigen, was mit ihren teils mehrstöckigen Caravans möglich ist. Die Markisen werden verbunden. Teppiche und mobile Zäune markieren die Wagenburg. Wir fragen uns, ob wir mit unserem Mini-Gespann wohl Gesprächsthema des Abends sind.

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Die Lofoten sind tatsächlich ein Traum für jeden, der die zahlreichen Inseln auf Rädern erkunden möchte. Die Straßen sind auch abseits der E10 fast alle in gutem Zustand und verlaufen durch eine abwechslungsreiche Landschaft, die ihres Gleichen sucht. Wir kurven durch alpines Gelände an Bergdörfern vorbei und stehen kurz darauf in Haukland am Strand, der uns mit seinem weißen Sand eher an Karibik als an Nordland erinnert.

Auf dem Weg Richtung Nusfjord zeigt unser heckangetriebener Wasserboxer dank einer Straßensperrung erneut, dass er auch auf der Umleitung über unbefestigte Bergstraßen eine gute Figur macht. Die Straße schlängelt sich vorbei an massiven Felswänden. Die Wolken scheinen über die Bergespitzen zu quillen und verleihen der Szenerie eine gespenstige Ruhe. Der Stellplatz in Nusfjord oberhalb der Stadt ist ein Traum. In der Ferne das offene Meer. Wir sind ganz allein und schmeißen im Dämmerlicht den Kocher für Köttbullar und Kartoffelpüree an.

Während der graue Dunst des Morgens sich lichtet, sitze ich in Gedanken versunken an diesem Text. Der Kaffee brodelt inzwischen und wir werden das verlassene Fischerdorf gleich zu dritt erkunden können.

Den Moschus auf der Spur, 5112 kmsonnig, 6°C, vom Winde verweht

08-dovrefjellDovrefjell (.NO)
N 62°13.610’
E 009°31.003’ 

26.9.2016 – Als wir nachts um halb Eins das norwegische Festland mit der Fähre von Moskenes nach Bodø erreichen, werden wir kurz darauf von spektakulärem Polarlicht begrüßt. Über uns ziehen einzelne Wolkenfelder hinweg. Ansonsten ist der Himmel sternenklar.

Auf der Fähre haben wir Jeanne und Frietjoff aus Hamburg kennengelernt und schauen uns den atemberaubenden Tanz der Lichter gemeinsam an. Das rote und grüne Leuchten oberhalb der Wolken lässt sie in Zeitlupe explodieren.

Die beiden Hamburger sind mit einem Pickup samt Dachzelt unterwegs. Auf der Ladefläche kommen Gepäck und die Mountainbikes unter. Eine Konfiguration, die im Vergleich zu unserem Gespann auch in unwegsamen Gelände nicht einschränkt. Wir fachsimpeln über verschiedene Fahrzeugkonzepte und kriechen kurz darauf in unseren warmgeheizten Bus.

Im zweiten von vier Gängen klettert unser T3 mit uns am nächsten Morgen eine Passstraße hinauf – die Motortemperatur und eine grandiose Aussicht auf die hohen Berge am Horizont ständig im Blick. Wir machen die Heizung an. Die Öltemperatur fällt. Bei Steigungen kommen die 78 PS regelmäßig an ihre Grenzen. Wir haben uns inzwischen an das gemütliche Vorankommen mit Oldtimer gewöhnt, schalten gerne ein oder zwei Gänge zurück, reden ihm gut zu und nehmen die sich bildende Schlange hinter uns mit Gelassenheit. Ansonsten läuft der Bus hervorragend. Nach 3.500 Kilometern haben wir dem Wasserboxer einen halben Liter Öl spendiert. Die Kaltstartautomatik schwächelt manchmal und die Lehrlaufdrehzahl könnte etwas höher sein. Beides Kleinigkeiten, um die wir uns bei nächster Gelegenheit in Ruhe kümmern werden.

Wieder auf der E6 füllen wir unsere Vorräte auf, tanken zum x-ten Mal Benzin und zum ersten Mal Gas. Vor uns liegen zwei längere Fahrtage. Wir wollen Richtung Trondheim, um das weiter südlich gelegene Dovrefjell zu erkunden.

Am späten Nachmittag halten wir spontan am Fjellzentrum in Storjord. Östlich der E6 liegt der Junkerdalen Nationalpark. Richtung Westen blicken wir auf die offenen Gebirgshochländer des Saltfjellet-Svartisen Nationalparks. Doch bis dahin sind von hier einige hundert Höhenmeter durch dichten Birkenwald zu überwinden. Wir analysieren das Kartenmaterial. Die E6 steigt im weiteren Verlauf an und bringt uns fast bis an die Baumgrenze. Wir entdecken einen Wanderweg, der uns unweit einer Bahnstation den Einstieg in das vom Tal so spektakulär wirkende Gelände ermöglicht. Wir suchen uns ganz in der Nähe einen Schlafplatz mit Blick über die im Abendlicht bunt gefärbte Weite.

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Am nächsten Morgen wandern wir gut gelaunt über die Tundra des Kjemåfjells. Der Weg ist durch große, vom Eis längst vergangener Tage rund geschliffene Felsen besonders abwechslungsreich. Die spontane Wanderung entwickelt sich zu einer echten Abstaubertour. Fast mühelos steigen wir immer weiter in das Gelände hinein und begegnen dabei keiner Menschenseele. Hier können wir am besten abschalten und vergessen schnell die Ungewissheit der bevorstehenden Tage. Wir wandern im Hier und Jetzt, konzentrieren uns nur auf den nächsten Schritt, den Pfad, die nächste (Windel-)Pause, das Wetter. Richtung Westen blicken wir auf vereinzelte Schneefelder im Schatten des Lønstinden. Wir könnten noch Stunden so weiterlaufen. Doch der Abend naht und wir kehren um.

Nach zwei Tagen und gut 600 Kilometern lassen wir Trondheim wegen bevorstehender Regentage aus und erreichen das Dovrefjell am dritten Tag früh morgens bei trockenem Wanderwetter. Zum Frühstück an der Bahnstation in Kongsvoll gibt es zur Abwechslung kein Müsli, sondern Polarbrød mit Wurst, Käse und Kaffee.
Der Startpunkt unmittelbar an der E6 ist für Auto- und Bahnreisende gleichermaßen perfekt. Simon, vielen Dank für den Tipp!

Auf der Suche nach den hier lebenden Moschusochsen laufen wir nach einem vergleichsweise steilen Anstieg über das baumlose Hochplateau. Etwa 250 bis 300 Moschus soll es verteilt über die riesige Fläche des Nationalparks noch geben. Der Südostwind hat hier oben leichtes Spiel. Böig peitscht er uns ins Gesicht und fegt unter unsere Klamotten. Wir schlagen die Krägen unserer Jacken hoch und setzen die Kapuzen auf.

Von einem Norweger, der uns mit seinem Gewehr entgegenkommt, wissen wir, dass sich die Herde am Morgen dort aufhielt, wo wir jetzt stehen. Sie sei Richtung Osten weitergezogen, erfahren wir. Querfeldein wandern wir noch einige hundert Meter Richtung Westen, um anschließend den vor uns liegenden Hügel gegen den Wind Richtung Osten zu besteigen. So können uns die Ochsen weder hören noch riechen. Unsere Schritte werden langsamer. Das Gelände ist hier nicht voll einsehbar und wir haben Sorge, der Herde hinter einem der Felsen zu nahe zu kommen und die Tiere zu erschrecken. Unsere Vorsicht ist nicht unbegründet. Wenn sich die an sich friedlichen Tiere bedroht fühlen, können sie innerhalb kürzester Zeit ohne Vorwarnung angreifen und dabei bis zu 60 km/h erreichen.

Schließlich entdecken wir eine zufrieden weidende Herde von zwölf Moschus weiter unten hangabwärts. In der Landschaft gut getarnt, sehen sie zunächst aus, wie große Steine. Als wir näher kommen, erkennen wir das lange, zottelige Fell, das die Tiere hervorragend vor den krassen Witterungsbedingungen schützt. Unsere Outdoorjacken aus Hightech-Gewebe können da nicht mithalten. Ich pirsche mich noch ein paar Meter weiter heran, um die Herde mit meiner analogen Mamiya und dem eingelegten Schwarz-Weiß-Film festzuhalten. Ania und Janos halten lieber Abstand.

An eine Pause ist hier oben aufgrund des strammen Windes nicht zu denken. Janos schläft. Doch wir haben Sorge, dass es ihm zu kalt werden könnte und steigen ab. Weiter unten finden wir dann einen felsigen Windschutz, um Janos zu stillen, zu winkeln und einen Happen zu essen. Als wir uns wieder dem Tal nähern, scheint die Sonne uns warm ins Gesicht. Wir ziehen die Jacken aus und sind wieder einmal froh und dankbar für diese gelungene Tour.

Regen ist erst für die Nacht vorhergesagt. Noch ist der Himmel fast wolkenlos. Ursprünglich sollte es in den nächsten Tagen in den Jotunheimen Nationalpark gehen. Doch bei der aktuellen Wetterprognose erscheint uns das nicht sinnvoll. Wir entscheiden uns, heute keine größere Strecke mehr zu fahren und suchen für die Nacht die Hochebene eines früheren Bergbaugeländes in Hjerkinn auf, die uns einen wunderbaren Blick über das Dovrefjell und – nach einem kleinen Aufstieg zum Aussichtspunkt – auf den Snøhetta ermöglicht.

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Das karge Fjell erstreckt sich über die gesamte Landschaft und sieht im warmen Abendlicht nach einer Mischung aus Steinwüste und Mondlandschsft aus. Die von der untergehenden Sonne angestrahlten Bergspitzen scheinen bereits Schlafmützen aufzuhaben. Im Tal verläuft die E6 in großen Kurven durch die Landschaft und erinnert an eine Science-Fiction Szenerie auf fremden Planeten.

Als die Nacht langsam hereinbricht und die Dunkelheit den Tag verschlingt, zieht ein ausgewachsener Herbststurm auf. Mit unserem Bus sind wir vor den Launen des Windes hier oben nun besser geschützt. Es pfeift und rüttelt kräftig am Blechkleid unseres Oldtimers, doch Wind und Kälte schaffen es nicht durch die Ritzen.

Nach einer unruhigen Nacht bemerken wir am Morgen das Kamerastativ unserer Nachbarn, das noch aufgebaut vor deren Wohnmobil steht. Offenbar haben wir die Polarlichter in dieser Nacht verpasst. Wir sind enttäuscht. Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass wir in den nächsten Nächten noch ausreichend Gelegenheit für schöne Polarlichtfotos haben werden.

Hüttenluxus und ein Blick zurück, 5615 kmneblig, -7°C, wehmütig

08-foskrosFoskros (.SE)
N 61°59.815’
E 012°39.837’ 

01.10.2016 – Es gibt diese Landschaft, die dickköpfig jeder Wetterlage zu trotzen scheint und auch bei fiesem Nass und tief hängenden Wolken das Fotografenherz freudig entzücken lässt. Der Regen prasselt auf die Scheibe, während wir mit unserem Gespann den Schlaglöchern ausweichen und auf der unbefestigten Straße durch das Rogen Naturreservat kurven, um das letzte Ziel unserer Reise aufzusuchen.

Das monotone Geräusch der Scheibenwischer, der zufrieden gluckernde Wasserboxer und die durch Kurven und Nebelschwaden eingeschränkte Sicht, die ständig Neues offenbart, erscheinen uns wie stellvertretend für das bisher Erlebte zu stehen. Ungewissheit und positive Überraschungen waren während der vergangenen 5000 Kilometer unsere ständigen Begleiter. So fanden wir beispielsweise in der Nähe von Røros in Norwegen einen Schlafplatz am See. Das Wasser beruhigte sich mit Anbruch der Dämmerung und bot den aufziehenden Polarlichtern unerwartet eine Bilderbuchbühne, die wir von unseren warmen Plätzen im Bus beobachten konnten.

Zum Ende unserer fast acht wöchigen Reise geht es nun nach Foskros am Rand des Langfjälls. Das kleine Bergdorf war 2013 Startpunkt unserer zehntägigen Fjällwanderung. Hier tauschen wir nun die gut vier Quadratmeter Wohnfläche der vergangenen Wochen gegen 65 Quadratmeter Hüttenluxus. Ein offener Kamin, fließend warmes Wasser und eine Sauna warten in der Berghütte auf uns.

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Die Temperaturen klettern inzwischen auch tagsüber nur knapp über Null. Nachts bedeckt der Frost Blaubeersträucher und Islandmoos, um das Ende des Herbstes anzukündigen. Der Winter ist in Sicht und wir erwarten nun täglich den ersten Schnee.

Neben kleineren Wanderungen in uns wohl bekanntem Gefilde gönnen wir uns vor allem Eines: Gemeinsame Zeit mit Janos, die wir so ganz ohne Gedanken an vor uns liegende Kilometer verplanen können.

Doch es fällt uns anfangs fast schwer, das ständige Aufbrechen und rastlose Vorankommen der vergangenen Wochen gegen die Gelassenheit des Hüttenlebens zu tauschen. So backen wir, albern ausgiebig mit Janos, schlafen mit ihm in der Hängematte ein und beobachten die Rentiere und Eichhörnchen von der Terrasse. Wir müssen hier nichts, wir dürfen ganz viel – so wie es uns gerade in den Sinn kommt. Und ja, es ist herrlich!

Während abends das Kaminfeuer knistert und die Kälte des Tages vertreibt, kommt beim Gedanken an die zurückliegenden Erlebnisse und das nahende Ende unserer Reise auch Wehmut auf. Unsere Dreisamkeit tut uns gut, wir fühlen uns sauwohl und sind uns fast sicher, zum Glücklichsein nur das zu benötigen, was in unseren Bus passt.

Es war der Reiz des Einfachen, der uns zu dieser Reise aufbrechen ließ. Mit geschärften Sinnen und der Lust auf Freiheit sind wir zu unserem ersten Familienabenteuer in die Natur aufgebrochen, von der wir seit Kindesbeinen an träumen. Wir haben uns schnell an die intensive Art des Unterwegsseins gewöhnt und dabei auf erstaunlich viel Komfort verzichten können.

Wir blicken nun zurück auf drei skandinavische Länder, viele Kilometer mit dem Bus und besonders eindrucksvolle zu Fuß. So haben wir die Stille der herbstlichen Wälder, die einsame, karge Weite des Fjälls und so manches Mal das Einssein mit der Natur als Familie erlebt.

Janos bekommt inzwischen seine ersten Zähne und war – wir haben gerade mal überschlagen – die Hälfte seines kurzen Lebens mit uns auf Reise. Wenn wir morgens um fünf in seine hellwachen Augen schauen, die einen leuchtend und voller Erwartung anschauen, sind wir uns sicher, dass es ihm gefällt.

Hier auf dem Blog sagen wir nun Tschüss und melden uns nach der Fährfahrt von Göteborg nach Kiel und der Ankunft in Essen wieder zurück – mit Fotos (digital und analog), Tönen aus der Natur und Wissenswertem über Babyausrüstung, Kameraequipment und Bustechnik. Denn eines ist schon jetzt sicher: Nachmachen ausdrücklich empfohlen!

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